In einem fiktiven Dialog zwischen einem gestandenen Freimaurer und einem jungen Interessenten, beide offenbar befreundet oder näher bekannt, beleuchtet der Autor, warum man seiner Meinung nach Freimaurer werden sollte und dass es unter- schiedliche Zugänge zur Freimaurerei gibt.
Bernd: Schön, dass du wieder zu uns kommst, mein Freund, bestimmt hast du über meine Frage, ob du dich uns, den Freimaurern, anschließen willst, nachgedacht.
Lars: Da konnte ich gar nicht viel nachdenken: Erstens hatte ich keine Zeit, du weißt: Familie und Be- ruf, und zweitens weiß ich auch nichts Konkretes von den Freimaurern.
Bernd: Ich habe dir aber eine Schrift mitgegeben, da sind die Ziele doch benannt, nämlich Hinführung zu brüderlichen Denken und humanen Verhalten.
Lars: Nimm es mir nicht übel: was da drin steht, ist in meinen Augen alles ziemlich nebulös und un- scharf. Mit „brüderlich denken“ und „human handeln“, wie es dort steht, konnte ich nicht viel anfangen. Was soll das denn eigentlich sein?
Bernd: Das finde ich sehr schade, wenn Du damit nichts anfangen konntest. „Brüderlichkeit“ und „Hu- manität“ sind doch sehr tiefsinnige Begriffe.
Lars: Für Dich vielleicht, für mich sind sie ohne Inhalt, also Bla-Bla. Also ich bitte Dich: Rede nicht dau- ernd so geschwollen wie ein Politiker mit allgemeinen Begriffen herum, sondern sage mir klipp und klar und konkret: Was habe ich davon, wenn ich Freimaurer werde?
Bernd: Jetzt muss ich nachhaken: Wie meinst du das: „etwas von etwas haben“?
Lars: Nun, ich meine: Wie profitiere ich davon?
Bernd: Meinst du das im beruflichen oder materiellen Sinne? Meinst du Geld oder Chancen für dein berufliches Wohl?
Lars: Ja, so ungefähr. Ihr faselt immer von Ideen und der Geschichte, aber ich bin jung und will Karrie- re machen, ich brauche Förderung. Ohne das große „B“ der Beziehungen läuft doch heute nichts mehr. Wenn ich diesbezüglich bei Euch profitieren kann, wenn Ihr mir helft, nutzbringende Beziehungen an- zuknüpfen, wenn einflussreiche Leute bei Euch Mitglied sind, dann komme ich sofort.
Bernd: Es ist schön, dass du dich um deine Zukunft im Beruf sorgst. Und Beziehungen sind gut und wichtig, wenn auch – wie ich meine – nicht allein ausschlaggebend. Ich glaube aber kaum, dass die Freimaurer dir da helfen können, zumindest ist das nicht ihr Ziel. Per Zufall kann sich höchstens eine Möglichkeit ergeben, auch beruflich einen Kontakt zu knüpfen oder einen Rat zu bekommen. Aber auf die direkte Frage: Habe ich berufliche Vorteile von der Freimaurerei?, müßte ich sagen: Zunächst ein- mal nicht! Doch überlege: Ist der Beruf alles, was dein Leben ausmacht?
Lars: Natürlich nicht: Da ist der Urlaub, da sind die Frauen, der Spass auf den Partys, die Reisen, mein Sport, das Leben halt eben, ich lebe doch nicht nur für meinen Job.
Bernd: So sage mir doch bitte einmal, nach welchen Kriterien du deinen Beruf gewählt hast, warum hast Du diesen Beruf gewählt.
Lars: Nun, so groß ist heute das Angebot ja nicht, aber: Er soll mir gutes Geld einbringen, möglichst krisenfest sein und mich interessieren und mir liegen.
Bernd: Was heißt „mich interessieren“?
Lars: Er soll auch nach Jahrzehnten nicht langweilig sein. – Ich will wirklich Verantwortung für eine Sache haben. Auch will ich ihn wirklich gerne tun.
Bernd: Du meinst also, um etwas gerne zu tun, muss man sich verantwortlich fühlen können und dür-fen.
Lars: Ja, sonst lebe ich doch stumpfsinnig.
Bernd: Das mit der Verantwortung erkläre mir noch genauer.
Lars: Ich will in meinem Beruf mich selbst fordern müssen. Wenn man mir alles vorschreibt, habe ich nichts zu denken.
Bernd: Ich erkenne: Verantwortung und Denken gehören zur Entwicklung deines Lebensplanes. Das sind positive Eigenschaften, dazu gratuliere ich. Aber: Lass mich noch einmal nachfragen: Wem gegenüber fühlst du dich verantwortlich?
Lars: Allem, meinem Betrieb, meiner Arbeit, meinen Kunden, meiner zukünftigen Familie, meinem Leben.
Bernd: Also auch dir selbst! – Du fühlst Dich Dir selbst auch verantwortlich?
Lars: Das ist doch klar.
Bernd: Wenn das so klar ist, dass Du dir gegenüber verantwortlich bist, dann verstehe ich wiederum nicht, warum du nicht zu uns Freimaurern kommen möchtest.
Lars: Den Zusammenhang verstehe ich nun nicht.
Bernd: Nun, ich stelle dir eine These auf: Wer sich freimaurerisch betätigt, der lernt, mit sich und anderen verantwortungsvoll umzugehen.
Lars: Das klingt gut, überzeugt mich aber nicht: Um verantwortlich zu handeln, muss ich einen Maß- stab haben.Ich muss erkennen, ob ich gute Arbeit leiste. Das zahlt sich beispielsweise in meinem Beruf in klingender Münze aus. Ich muss erkennen, ob ich mich richtig verhalte. Das zahlt sich in sozialen Kontakten aus. Ich muss erkennen, ob ich ankomme. Mein Erfolg bei den Mädchen beweist mir das. – Mein Bankkonto wächst, ich bin gut versichert, meine Freundeskreis ist groß, ich habe eine tolle Frau kennengelernt, die ich vielleicht einmal heirate, was soll ich mit den Freimaurern?
Bernd: Ganz richtig, nur hast du eines vergessen: Du bist beruflich, sozial und mental abhängig von deiner Umwelt und du bist nicht ewig jung. Lass mich etwas ausholen. Die Freimaurerei stammt aus einer Zeit, in der Menschen unfrei waren: sie waren es geistig und viele waren es körperlich, waren es politisch. Die Freimaurer erkannten, dass man erst dann körperlich oder politisch frei werden kann, wenn man vorher geistig frei geworden war. Der körperlichen Freiheit ging also immer die geistige Befreiung voraus. Das erkannt und durchgesetzt zu haben, ist die geschichtliche Leistung der Freimaurer.
Lars: Gut, aber wir sind heute frei, was soll das also?
Bernd: Glaubst du das wirklich? Glaubst du wirklich und nach innerster Überzeugung, du seist frei? Ist dein Kopf wirklich frei? Frei von aufgezwungenem Lebensstil? Frei von Klischees über das schöne Le- ben? Frei von Konsumzwang? Frei von aufgezwungenen Bildern? Frei von Gewinnterror? Frei von Manipulation? Frei von Materialismus? Frei von Vorurteilen? Hast du wirklich über dein Leben und deine Vorstellungen entschieden, oder hast du dein Unterbewusstsein von denen entscheiden lassen, die uns manipulieren?
Lars: Äh, jetzt bringst du mich wirklich in Verwirrung, aber ich will darüber nicht nachdenken, das ist mir zu kompliziert.
Bernd: Das ist der Punkt, mein Freund, Du willst nicht denken, weil es Dir zu anstrengend ist, zu kompliziert vorkommt. Natürlich ist es einfach und bequem, Andere für sich denken zu lassen, aber Du sag- test doch selbst, Dass Du Dein Leben entscheidend selbst gestalten möchtest. So wirst Du sicher erkennen, dass wir zwar die allgemeine Freiheit erreicht haben, dass aber doch die Methoden der Unter- drückung, der geistigen Unterdrückung, subtiler geworden sind, dass sie kaum noch durchschaubar für uns sind. Wenn wir nicht mehr denken wollen, sind wir genau da, wo man uns hinhaben will: Wir sind dann nämlich gedankenlose zahlende Objekte der Spaß- und Konsumindustrie. Und nur als solche wertvoll und interessant. Und deshalb sage ich dir: Wenn Freimaurerei heute eine Aufgabe hat, dann ist es die, uns Menschen das Denken zu erhalten und zu lehren. Wohlgemerkt: Denken in einem ethi- schen Sinn: Selbstverantwortung zu lernen und damit auch Verantwortung gegenüber dem Anderen und der Umwelt. So wie früher die politische Befreiung erst nach der geistigen Befreiung kommen konnte, so kann heute ein verantwortungsvoller Umgang mit der Welt, in der wir leben, erst dann kom- men, wenn jeder einzelne gelernt hat, mit sich selbst verantwortlich umzugehen. Und dazu verhilft uns die Freimaurerei!
Lars: Wie denn?
Bernd: Das kann ich genauso wenig rational erklären wie ich den Glauben erklären kann. Man muss eine Voraussetzung mitbringen: Die Überzeugung, dass wir überhaupt etwas verändern oder aufhalten können. Und wir brauchen das Wissen und die Geduld dafür , dass das ein historischer Prozess ist, so wie die Aufklärung auch ein Prozess war von 400 Jahren, nämlich seit dem 14. Jahrhundert, seit der Renaissance. Es genügt meiner Meinung nach schon, wenn Menschen in unserer Zeit bewusst sagen: Wir glauben an das Gute im Menschen. Wir glauen an die Sozialverantwortlichkeit des Menschen. Wir glauben, dass es Werte gibt, die erhalten und unseren Mitmenschen und unseren Kindern überliefert werden müssen und wir glauben schließlich, dass der Mensch ein tiefes Bedürfnis nach innerem Er- leben und nicht nur äußerer Zerstreuung hat. Das müssen wir als Freimaurer sagen, immer wieder sagen, und immer wieder vorleben, das ist zunächst und heute unsere Aufgabe und unsere Pflicht!
Lars: Ich glaube, ich sehe nun, was Du willst.
Bernd: Nicht ich will, wir Freimaurer wollen das. Aber das ist noch nicht alles. Meinst du nicht, mein Freund, du hättest einen Gewinn für dich und für dein Leben und auch für deinen Beruf: weil Du Dich selbst erkannt hast und weil Du gelernt hast, Dich als Dich selbst anzunehmen, weil du lieber lebst, weil du fröhlicher lebst, weil du bewusster lebst, weil du wahre Freunde hast, weil du mit deinen Problemen nicht alleine gelassen wirst, weil Du gesehen, nein selbst erfahren hast, wie groß die Fülle des inneren Reichtums in unseren Herzen sein kann?
Lars: Moment, Moment, das geht zu schnell, wiederhole mir das bitte noch einmal: Also: ich lebe lieber, weil ich Freimaurer bin?
Bernd: Das ist zwar richtig, aber es wäre eine zu simple Reduzierung. Du lebst lieber, wenn Du bewusster lebst; Du lebst lieber, wenn du innerlicher lebst; Du lebst lieber, wenn Du Brüder, d.h. Freunde hast; Du lebst lieber, wenn Du das Ich zurücknimmst und dich dem Du zuwendest; Du lebst lieber, wenn du weißt, dass du eine geschichtliche Tradition fortsetzt, die eine der bedeutendsten geistigen Leistungen der Menscheitsgeschichte darstellt. Und wenn du nun dieses Ganze bewusst mit den Erscheinungen deiner – unserer Zeit vergleichst: Meinst du nicht, du hättest etwas davon, wenn du mehr siehst fühlst, erkennst und durchschaust als andere?
Lars: Das mag schon sein, ja ich glaube, dass ich das auch will. Aber ich kann schließlich das alles auch vollbringen, ohne gleich in einen Verein eintreten zu müssen.
Bernd: Natürlich, theoretisch kann das jeder, und du musst ja nicht eintreten, aber: Gemeinsamkeit hilft und macht stark, und ein „Verein“ ist eine Freimaurerloge nur im rechtlichen Sinne. Die Loge ist eine Bruderschaft, ein freier Freundesbund, die sich von der Bauhüttentradition, d.h. den Versammlungs- orten der Dombaumeister im späten Mittelalter, wo man das freie Wort schätzte, herleitet. Sie bietet aber auch vielerlei mehr, glaube bloß nicht, dass wir hier nur ernst herumsitzen und philosophieren – nein, eine Loge, das ist auch eine gelebte Geselligkeit mit vielerlei Anregungen und Veranstaltungen aller Art. Sie ist – und jetzt komme ich wieder zu den von Dir kritisierten Allgemeinplätzen – ein Ort der geistigen Weiterbildung, der sittlichen Erneuerung, der gelebten Humanität. Aber alles das muss man erfahren, kann man nicht einfach so erklären.
Lars: Nach allem, was ich gelesen hatte, hatte ich mir die Freimaurerei so nicht vorgestellt.
Bernd: Das ist so ähnlich, wie wenn Du in einem Prospekt von einem tollen Auto liest und meinst, du kennst es jetzt. Aber erst dann, wenn Du es länger gefahren hast, erkennst Du seine Stärken.
Lars: Und seine Schwächen.
Bernd: Ganz richtig: überall da, wo Menschen zusammen kommen, gibt es Stärken und Schwächen. Freimaurer bemühen sich, den Dir genannten Zielen zuzustreben, sie sind keine besseren Menschen, sondern Menschen, die bewusster mit sich und der Umwelt umgehen wollen. Sie nennen ihre Ziele pauschal den „Tempel der Humanität“. Aber sie wissen, dass sie sich immer wieder aufs neue um seinen Bau bemühen müssen.
Lars: So wie Sisiphus den Stein immer wieder auf den Berg schiebt – auch wenn er wieder herunter rollt?
Bernd: Ja, ganz richtig – aber wir glauben doch, dass er immer etwas weiter oben liegen bleibt. Und nun will ich dir noch etwas sagen, etwas, das deine Spassfreunde auf deinen Partys betrifft: Wo werden sie sein, wenn du sie nicht mehr amüsierst? Mit wem von ihnen kannst du ein Gespräch in seelischer Not führen? Wo hast du denn eine geistige Heimat? In der Disco oder auf dem Tennisplatz etwa? Wer sitzt an deinem Bett, wenn du krank oder alt bist? Wer lehrt dich, auch angesichts des Todes nicht zu verzweifeln? Mein Freund, lass uns zum Ende kommen: Wenn Du immer noch meinst, du hättest nichts davon, ein Freimaurer zu wer- den, dann lass die Finger davon. Wenn aber in unserem Gespräch irgend etwas Dich angesprochen hat, wenn eine Saite in Dir geklungen hat, die Du vorher nicht gehört hast, dann folge diesem Klang.
Lars: Ich muss über alles das erst nachdenken, gibst du mir noch etwas Zeit?
Bernd: So viel du immer willst
Verfasser: Hansjörg Dörr
Über Hansjörg Dörr
Hansjörg Dörr, geb. 1938, Studiendirektor i. R., seit 1995 Bruder der Loge Plato zur beständigen Einigkeit i. O. Wiesbaden Nr.125, Altstuhlmeister, verheiratet.
Langjähriger Redner und Musikmeister. Amateurpianist, Bergsteiger, Fotograf, schreibt Lyrik und Novellen (1999 Novellensammlung „Gebrauch der Zeit“ bei BOD).